Sexualität kennt kein Verfallsdatum – doch für viele Menschen bleibt sie im Alter ein Tabuthema. Körper verändern sich, Bedürfnisse auch, und nicht selten verschwindet die Lust im Strudel aus Alltag, Stress und schwindender Selbstwahrnehmung. Dabei zeigt die Erfahrung: Nähe, Berührung und Sinnlichkeit bleiben ein lebenslanger Teil unserer Identität.

Die Gynäkologin und Sexualtherapeutin Dr. Elke Franzki begleitet seit über 30 Jahren Frauen und Paare durch genau diese Lebensphasen. In ihrer Praxis begegnet sie tagtäglich Fragen, Unsicherheiten – und einer großen Sehnsucht nach erfüllter Intimität. In ihrem Buch „Liebe, Sex & Zärtlichkeit“ räumt sie mit alten Mythen auf und zeigt, wie viel Lebendigkeit im späteren Leben steckt. Im Interview mit spot on news erklärt Dr. Franzki, warum Lust kein Alter hat, wie Paare einander wieder näherkommen können – und warum es vor allem um eines geht: den eigenen Körper neu kennenzulernen.

Sie waren viele Jahre als Frauenärztin tätig. Warum war es Ihnen wichtig, ein Buch über Liebe und Sexualität im Alter zu schreiben?

Dr. Elke Franzki: Ich bin mit meinen Patientinnen älter geworden – viele habe ich vom Kinderkriegen bis in die Wechseljahre begleitet. Dabei fiel mir auf, dass Sexualität im Alter oft gar kein Thema mehr war, obwohl es eigentlich Fragen und Probleme gab. Manche Frauen sagten beim Vorsorgetermin auf meine Nachfrage: „Ich würde ja gern, aber es tut so weh.“ Viele wussten gar nicht, dass eine einfache Östrogencreme helfen kann. Ich wollte aufklären und zeigen: Sexualität hört nicht einfach auf, sie verändert sich.

Wie genau verändert sich Sexualität mit den Jahren?

Dr. Franzki: Das ist sehr individuell und hängt weniger vom Alter an sich als von den Lebensumständen ab – von Stress, Krankheiten, Verlust des Lieblingsmenschen. Körperlich bringen z.B. bei Frauen die Wechseljahre natürlich Veränderungen durch den Hormonabfall. Das führt zu diversen Beschwerden, wie Hitzewallungen, Trockenheit der Vulva und Vagina, Schlafstörungen, Gereiztheit. Aber das ist keine Krankheit, sondern eine Übergangsphase. Ein Drittel der Frauen merkt kaum etwas, ein Drittel fühlt sich gestört, und ein Drittel hat wirklich starke Beschwerden. Bei den Männern zeigen sich erste Veränderungen oft in Beeinträchtigung der Erektion. Wichtig ist: Das alles lässt sich behandeln – medizinisch, aber auch auf psychischer Ebene. Bitte unbedingt ansprechen, wenn es stört!

Viele Frauen erleben in dieser Zeit Lustlosigkeit. Woran liegt das?

Dr. Franzki: Männer durchaus auch. Oft war die Sexualität vorher schon eingeschlafen. Lange Beziehungen tragen dazu bei. Die Wechseljahre sind nur der Verstärker. Der allgegenwärtige Stress des Alltags, eingeschliffene Routinen – das alles spielt mit. Die Hormone sind nur ein kleiner Teil des Puzzles. Eine Hormonersatztherapie kann bei manchen Frauen durch Beseitigung der Beschwerden wieder Raum für erotische Begegnungen schaffen. Bei manchen Frauen hilft Testosteron in sehr niedriger Dosis, um das Lustgefühl und die Orgasmusfähigkeit wiederzubeleben. Aber das Wichtigste ist, über Bedürfnisse zu sprechen, statt sie zu verdrängen.

Was können Paare tun, um sich nach Jahren wieder näherzukommen?

Dr. Franzki: Sich Zeit nehmen! Viele Paare warten auf den „richtigen Moment“, aber der kommt selten von allein. Man darf Intimität ruhig planen, sich bewusst verabreden – am Sonntagmorgen oder beim Mittagsschlaf, wann immer es passt. Und man sollte reden: über das, was man sich wünscht, was man nicht mag. Ein Nein ist keine Verweigerung, sondern eine „Kompetenz“, seine Bedürfnisse wahrzunehmen und auszudrücken. Unlust ist oft ein Ausdruck dafür, dass etwas nicht stimmt – sei es der Zeitpunkt, der Ort oder die Art der Sexualität, der Partner oder dass andere Dinge grade zu herausfordernd sind und die Lust in den Keller schicken.

Wie kann man denn herausfinden, was einem überhaupt noch gefällt?

Dr. Franzki: Indem man sich selbst wieder spürt. Ich frage Patientinnen oft: „Worauf genau haben Sie keine Lust?“ Das ist manchmal leichter zu beantworten. Und dann „Worauf haben Sie Lust?“ Angefangen bei kleinen Dingen, gar nicht primär sexuelles. Daraus kann man dann entdecken, was fehlt oder was anders werden sollte. Frauen brauchen oft mehr emotionale Einstimmung und Kontext – Zärtlichkeit, Anerkennung, kleine Gesten im Alltag. Ein liebevoller Kuss im Vorübergehen kann mehr Lust auslösen als ein überrumpelnder Annäherungsversuch.

Und wenn jemand sagt: „Für mich ist das Thema vorbei“?

Dr. Franzki: Dann ist das völlig in Ordnung – solange es sich wirklich stimmig anfühlt. Nicht jeder braucht Sex, um erfüllt zu sein. Aber es lohnt sich, ehrlich hinzuschauen: Möchte ich wirklich keinen Sex mehr, oder habe ich mir das nur abgewöhnt, weil ich denke, es „schickt sich nicht mehr“? Viele entdecken ihre Lust wieder, wenn sie sich verlieben – selbst mit 70. Diese Mythen, dass das Alter das Ende der Sinnlichkeit bedeutet, sind Unsinn.

Sie sprechen in Ihrem Buch auch über Scham. Wie kann man sie überwinden?

Dr. Franzki: Indem man dem eigenen Körper wieder liebevoll begegnet. Ich empfehle oft, sich beim Duschen so zu berühren, als würde man von jemandem gestreichelt, der einen liebt. Mit einem schönen Duschschaum oder Granatapfelöl – das pflegt nicht nur, es verbindet auch mit dem eigenen Körper. Wer sich regelmäßig selbst zärtlich berührt, spürt: Da ist noch so viel Leben und Sinnlichkeit. Und traut sich dann auch eher, das zu kommunizieren.

Viele ältere Menschen haben gesundheitliche Einschränkungen. Wie kann Sexualität dann noch funktionieren?

Dr. Franzki: Indem man sich anpasst, seine Speisekarte erweitert. Vielleicht braucht es andere Stellungen, vielleicht Hilfsmittel wie Kissen, Vibratoren oder Gleitmittel. Sexualität kann so vieles bedeuten – einander streicheln, sich küssen, massieren. Es geht um Berührung, nicht um Leistung.

Was wünschen Sie sich, wie die Gesellschaft über Sexualität im Alter spricht?

Dr. Franzki: Ich wünsche mir, dass wir sie als etwas Selbstverständliches betrachten – als Lebenselixier. Menschen sind bis ins hohe Alter sinnlich, neugierig und liebesfähig. Das gilt auch für Menschen in Heimen oder mit Einschränkungen. Jeder sollte seine Form von Sexualität leben dürfen – frei von Scham und Vorurteilen.

Und was ist für Sie die schönste Erkenntnis aus Ihrer Arbeit?

Dr. Franzki: Wenn Menschen nach einer ersten Beratung sagen: „Das war gar nicht so schlimm – ich habe richtig Lust bekommen, mich wiederzuentdecken.“ Oder ich bekomme später positives Feedback. Da finden Sie einiges in den „Mutmachgeschichten“ in meinem Buch! Das macht mich glücklich. Aber der Weg zu einer wieder beflügelnden Sexualität ist wie Fitness: Es reicht nicht, sich im Studio anzumelden – man muss auch hingehen.

(ncz/spot)

Bild: Kleine Gesten im Alltag können zu mehr Nähe in der Partnerschaft beitragen. / Quelle: iStock via Getty Images/jacoblund