Rund fünf Monate nach dem ESC-Gewinn für die Schweiz hat Nemo (25) an diesem Freitag (4. Oktober) die neue Single „Eurostar“ veröffentlicht. Nicht nur durch den Eurovision Song Contest, auch durch den Umzug von Berlin nach London veränderte sich Nemos Leben in diesem Jahr. Der Ortswechsel kam „genau zum richtigen Zeitpunkt“, verrät Nemo im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news. Zudem spricht der ESC-Star über die Faszination mit der Stadt, das queere Leben in der Metropole und einen potenziellen Auftritt beim kommenden Song Contest.

Rund ein halbes Jahr ist seit Ihrem ESC-Sieg vergangen. Wie geht es Ihnen heute?

Nemo: Es geht mir sehr gut. Ich bin überglücklich, endlich wieder Musik veröffentlichen zu können. Ich habe in den letzten paar Monaten unglaublich viel erlebt, aber auch sehr viel über mich selbst gelernt. Auch über die Welt, das Performen und das Musikmachen. Ich freue mich darauf, jetzt wieder in das Musikmachen und Veröffentlichen eintauchen zu können.

Welche positiven und negativen Erfahrungen haben Sie nach Ihrem Sieg gemacht, die Sie bis heute prägen?

Nemo: Ich glaube, meine Gefühlswelt hat sich erweitert. Die tollen Momente sind unglaublich schön und voller Endorphine. Die weniger schönen Momente gehen dafür viel tiefer. Ich musste auf jeden Fall lernen, damit umzugehen. Vielleicht hat sich mein Spektrum an Gefühlen durch all die Erfahrungen einfach vergrößert. Manchmal kann alles sehr intensiv sein. Ich habe das große Glück, ein tolles Netzwerk um mich herum zu haben – Freund:innen und Familie, aber auch die Menschen (mein wundervolles Team), mit denen ich zusammenarbeite. Sie gehen sehr achtsam mit mir um, was mir sehr hilft.

Mit „Eurostar“ beginnt für Sie ein neues Kapitel nach Ihrem Sieg. Der Song bringt pulsierende Beats zum Tanzen mit. Sind Sie gerne in Clubs, wie muss eine perfekte Partynacht für Sie aussehen?

Nemo: Eine gute Partynacht für mich ist, wenn sich alle sicher und wohl genug fühlen, um sie selbst sein zu können. Das ist die perfekte Voraussetzung.

Sie sind nach London umgezogen. Was macht die Stadt für Sie besonders und wie haben Sie sich eingelebt?

Nemo: Der Umzug nach London kam genau zum richtigen Zeitpunkt für mich. Ich wusste nicht genau, was ich musikalisch machen wollte. Ich glaube, „The Code“ und der Eurovision Song Contest haben mir musikalisch sehr die Augen geöffnet. Jetzt weiß ich, wo ich mich musikalisch und auch künstlerisch hinbewegen möchte. Dafür gibt es keine bessere Stadt als London. Dort gibt es unglaublich viele, supertalentierte Menschen, die Musik, Kunst und Mode machen. Es ist wunderschön, mit diesen Menschen zusammenzuarbeiten, und ich durfte in diesem Jahr schon viele davon kennenlernen. Es findet ein richtiger Austausch statt, auch im Zusammenhang mit der Geschichte Londons und all den Einflüssen, die bis zu mir oder sogar bis nach Biel in der Schweiz gelangt sind. Das macht London zu einem ganz magischen Ort für mich.

Wie beeinflusst die Stadt Ihre musikalische Reise?

Nemo: Ein Element, das in mein künstlerisches Schaffen eingeflossen ist, ist, dass ich ganzheitlicher an alles herangehe – vom Styling über Visuals bis hin zu Referenzen für Visuals und die gesamte Welt um die Musik herum. Meine Begegnungen und Erfahrungen in London fließen alle in diesen Prozess ein. Auch die Geschichte Londons, der Punk der 70er Jahre, die ganze Bewegung inspiriert mich extrem. Ich sehe viele Parallelen dazu, wie ich und viele andere Menschen meiner Generation sich gerade fühlen. Ich glaube, viele unserer Fragen bewegen sich in einer ähnlichen Gedankenwelt.

Wo sind Sie in London am liebsten und was machen Sie am liebsten?

Nemo: Ich wohne im Osten Londons, einem riesigen Bereich. London ist so groß! Es ist krass, wenn ich es mit Berlin vergleiche, wo ich vorher gelebt habe. Berlin kam mir schon riesig vor. Ich bin vor allem dort, wo ich wohne. Ich weiß gar nicht genau, was ich am liebsten in London mache. Freizeittechnisch mache ich momentan nicht so viel. Meistens bin ich im Studio, gehe zu Fittings für Shootings oder besuche gerne Thrift-Stores. Ich glaube, es gibt nirgendwo so viele gute Thrift-Stores wie in London, vielleicht noch in Paris?

Sie setzen sich für die Rechte non-binärer Personen ein. Wie erleben Sie die Akzeptanz in Großbritannien? Und wie ist die Akzeptanz insgesamt in der Musikbranche?

Nemo: Ich habe in London schon viele tolle queere Menschen kennengelernt, vor allem auch aus der Musik- und Kreativbranche. Es ist sicherlich eine Art Bubble, in der ich mich manchmal frage, warum die Leute leider immer noch nicht sensibilisiert sind oder es nicht verstehen wollen. Aber ich denke, die Fashion-, Musik- und Kreativszene bildet eine Bubble, in der ich das Glück habe, mich oft wohlzufühlen.

Wollen Sie langfristig in London leben, oder welche Pläne haben Sie?

Nemo: Ich plane selten langfristig. Ich weiß, dass ich mein Album machen möchte, das stark von London inspiriert sein wird. Ich möchte auch viel mit Menschen aus London zusammenarbeiten. Danach schaue ich einfach, wie es mir gefällt und welche Türen das Leben mir öffnet – und welche sich vielleicht auch schließen. Das Leben bringt oft Überraschungen, deshalb plane ich nie länger als ein Jahr. Für dieses Album bleibe ich definitiv in London und freue mich darauf, hier richtig Fuß zu fassen.

Was wünschen Sie sich für Ihre Musikkarriere?

Nemo: Ich wünsche mir genug Freiheit, meine Ideen mit meinem Team so umsetzen zu können, wie ich es mir vorstelle – musikalisch, visuell und kommunikativ – und das möglichst lange. Ich wünsche mir eine Verbindung zu den Menschen, die meine Musik hören und denen sie etwas bedeutet. Ich glaube, nur wenn mir die Musik und die Kunst etwas bedeuten, kann ich sie in die Welt hinaustragen.

Der ESC findet 2025 in Basel statt, Ihre Heimatstadt Biel ist es nicht geworden. Waren Sie traurig darüber?

Nemo: Ich war schon etwas traurig, aber es fließen so viele Entscheidungen mit ein, von denen wir gar nichts mitbekommen. Ich hoffe, sie haben sich alle wichtigen Überlegungen gemacht. Ich finde, Basel ist eine gute Wahl, das wäre nach Biel/Bern auch mein Favorit gewesen. Basel hat supergute Argumente: Es ist eine superdiverse, kulturreiche Stadt, die sehr nahe an Deutschland und Frankreich liegt.

Werden Sie 2025 beim ESC auch dabei sein?

Nemo: Ich weiß noch nicht, die Planung ist noch nicht so weit. Die Organisator:innen haben sich aber schon bei uns gemeldet und wir werden unsere Ideen austauschen. Hoffentlich bin ich dann in Basel dabei!

Welche Person würden Sie sich wünschen, die Ihre Nachfolge antritt?

Nemo: Ich glaube, es gibt in der Schweiz so viele tolle Künstler:innen, die super passen würden. Es gibt wirklich viele, und ich habe auch schon den ein oder anderen Song gehört! Ich bin sehr gespannt, was hier noch alles passieren wird.

(paf/spot)

Bild: Nemo wurde durch den ESC 2024 einem Millionenpublikum bekannt. / Quelle: Ella Mettler