Friedrichstadt-Palast verliert jeden Monat zwei Millionen Euro
Friedrichstadt-Palast-Intendant Bernd Schmidt spricht im Interview über die kulturellen Herausforderungen in der Corona-Krise. Wie viel Schaden richtet das Virus kulturell an?
Der Friedrichstadt-Palast in Berlin läuft aktuell „im Sparprogramm“. Bernd Schmidt, der Intendant der berühmten Theaterbühne, steht vor einer großen Herausforderung. „Mit jedem Monat, den wir nicht spielen, verlieren wir rund zwei Millionen Euro an Einnahmen“, erklärt er im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news.
Aufgeben kommt trotzdem nicht in Frage. „Unser Theater hat schon viele Krisen überwunden. Ich habe daher die große Hoffnung und bin der Überzeugung, dass wir auch diese Situation meistern werden.“ Jedoch seien vor allem kleinere Institutionen aufgrund fehlender Liquidität besonders akut gefährdet. Gerade in diesen Zeiten sei es deshalb wichtig, dass die Kulturlandschaft zusammenhalte.
Wie stellt sich die Situation momentan am Friedrichstadt-Palast dar?
Bernd Schmidt: Seit vergangenem Mittwoch sind 300 unserer insgesamt 467 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – inkl. Minijobs – in Kurzarbeit. Als Theater, das nicht spielt, kommen wir um diese Maßnahme leider nicht herum. Das sind harte Einschnitte für die Betroffenen, aber wir wollen Entlassungen unbedingt vermeiden. Ballett und Showband sind beispielsweise zu 90 Prozent in Kurzarbeit, die Kolleginnen und Kollegen aus der Technik arbeiten nach besonderen Dienstplänen. Wer kann, soll zu Hause arbeiten und wir haben die vorhandenen Abteilungen in A- und B-Teams aufgeteilt, die sich möglichst nicht begegnen, und wenn doch, nur mit dem nötigen Abstand. Der Palast läuft derzeit also im Sparprogramm.
Welche Schwierigkeiten ergeben sich aus der momentanen Situation?
Schmidt: Mit jedem Monat, den wir nicht spielen, verlieren wir rund zwei Millionen Euro an Einnahmen. Im März und April sind es bereits knapp vier Millionen Euro. Wir erwirtschaften 85 Prozent unseres Budgets selbst. Dies stellt uns natürlich vor andere Herausforderungen als beispielsweise Staatstheater, die 80 bis 85 Prozent ihrer Kosten durch öffentliche Zuwendungen abdecken. Jeder spielfreie Monat ist für uns daher ein schwerer Schlag in die Magengrube.
Am 10. März lief die vorerst letzte Vorstellung Ihrer „VIVID Grand Show“. Was bedeutet der Spielstopp für die Künstler?
Schmidt: Es war ohne Frage eine Vollbremsung für alle. Der Applaus ist ja sozusagen das Brot des Künstlers, dementsprechend ist der Vorstellungsausfall natürlich für unsere Show-Beteiligten nicht leicht. Die letzte Vorstellung vor dem beschlossenen Spielstopp war sehr emotional und nun warten alle darauf, dass es wieder weitergehen kann.
Finden überhaupt noch Proben statt?
Schmidt: Not macht erfinderisch. Die Tänzerinnen und Tänzer trainieren derzeit in den heimischen Wohnzimmern und das gesamte Ensemble inklusive Ballett-Leitung ist mit Laptops oder Telefonen verbunden. Sechs Wochen Home-Training sind kein Problem, danach wird es problematisch. Für so eine komplexe Grand Show mit über 100 Beteiligten müssen die Künstlerinnen und Künstler zusammen proben können. Hier haben wir auch als Haus eine Verantwortung. Bei einer Wiederaufnahme benötigen wir sicher noch mal zwei Wochen Proben, um die „VIVID Grand Show“ wiederaufzufrischen. Diese Zeit nehmen wir uns dann aber auch.
Etliche Theater bieten jetzt Live-Streamings oder Übertragungen an. Was halten Sie davon?
Schmidt: Tanz und Akrobatik sind Hauptbestandteil unserer Shows und haben immer mit Körperkontakt zu tun. Einen Paartanz kann man schlecht allein tanzen. Wir sind aber derzeit in Gesprächen und schauen, wie wir die Menschen dennoch in dieser verrückten Zeit erreichen und gleichzeitig alle Abstands- und Sicherheitsregeln einhalten können.
Stehen Sie mit anderen Theater-Intendanten in Kontakt. Versuchen Sie gemeinsam, Lösungen zu finden?
Schmidt: Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, dass die Kulturlandschaft zusammenhält, wir sitzen alle im selben Boot. Ein Austausch untereinander hilft uns gerade allen.
Kann sich das Theater von der Krise erholen?
Schmidt: Unser Theater hat schon viele Krisen überwunden. Unsere wechselvolle Geschichte begann mit Max Reinhardt, der das Große Schauspielhaus 1919 eröffnet hat. 2019 haben wir unser 100-jähriges Bühnenjubiläum gefeiert und haben somit ab der Kaiserzeit vier Gesellschaftssysteme durchlebt, unter anderem als Theater des Volkes während der Nazizeit. 1981 musste der Vorgängerbau abgerissen werden, da sich der Bau statisch verzogen hatte. Der neue Palast wiederum steht seit 1984 als letzter Prachtbau der DDR an der Friedrichstraße. 2008 standen wir kurz vor der Insolvenz und haben 2019 gerade das erfolgreichste Jahr unserer Geschichte erlebt. Ich habe daher die große Hoffnung und bin der Überzeugung, dass wir auch diese Situation meistern werden. Aber das schaffen wir nicht allein.
Werden viele Theater gezwungen sein, für immer zu schließen?
Schmidt: Ich hoffe natürlich für unser kulturelles Leben, dass alle Einrichtungen diese schwierige Zeit überstehen. Leider sind gerade kleinere Institutionen aufgrund fehlender Liquidität besonders akut gefährdet. Das ist gerade sehr traurig, mitanzusehen und ich hoffe, dass die Hilfen dort rechtzeitig ankommen.
Wie unterstützt der Staat die vielen Kultureinrichtungen, wie unterstützt er Sie?
Schmidt: Wir gehören zu 100 Prozent dem Land Berlin. Ich bin im engen Austausch mit dem Senator für Kultur und Europa Dr. Klaus Lederer und seinem Kulturstaatssekretär Dr. Torsten Wöhlert. Man weiß um unsere auch überregionale Bedeutung, der Palast ist mit fast 550.000 Gästen die meistbesuchte Bühne Berlins und ich vertraue ihnen, dass sie alles versuchen, um uns zu helfen. Überhaupt, das möchte ich auch einmal sagen, sie leisten eine beeindruckende Arbeit in einer Situation, auf die keiner wirklich vorbereitet war. Klar ist allen: Diese Naturkatastrophe kann der Palast nicht ohne Hilfe der Politik meistern.
Wie viel Schaden richtet das Virus kulturell an?
Schmidt: Eine so weitreichende Aussage zu diesem Zeitpunkt zu treffen, finde ich schwierig. Es gibt zu viele Variablen: Wie lange dauern die aktuellen politischen Maßnahmen an, wie schnell wird ein Impfstoff gefunden und wie heftig wird die unvermeidliche Rezession. Ich habe jedoch das Gefühl, dass wir alle merken, wie sehr uns die Kultur fehlt, jetzt, da sie nicht mehr selbstverständlich verfügbar ist. Wenn wir wieder in Galerien, Museen und Theater dürfen, werden wir alle Gänsehaut haben und uns über diese kleinen Wunder freuen.
Alle Vorstellungen im Friedrichstadt-Palast sind bis 19. April abgesagt. Glauben Sie, dass Sie das Theater anschließend wieder wie gewohnt öffnen können?
Schmidt: Keiner kann die Entwicklung voraussagen, auch ich nicht. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir schon ab dem 20. April wieder spielen werden.
Wie verbringen Sie Ihre Tage? Wie sieht Ihre persönliche Isolation aus?
Schmidt: Ich lese und sehe Nachrichten, verdaue sie, mache mir ein Bild und schaue mit meinem Team nach vorne. Eines ist sicher: So übel es ist, aber das Virus wird die Menschheit nicht auslöschen und auch nicht die Kultur. Insofern bin ich nicht wirklich isoliert: Ich halte Kontakt und maile, skype, zoome und telefoniere zehn bis zwölf Stunden jeden Tag. Es geht ja auch um viel für uns.
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