Im neuen Münster-„Tatort: Die Erfindung des Rades“ (7. November, 20:15 Uhr im Ersten) steht ein emotionaler Abschied an: Mechthild Großmann (76) tritt zum letzten Mal als Staatsanwältin Wilhelmine Klemm in Erscheinung. Bevor sie gehen kann, müssen Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, 65) und Rechtmediziner Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers, 61) jedoch zunächst einen absurd inszenierten Mord aufdecken: Bei der Präsentation eines neuen Fahrrads liegt plötzlich ein eingefrorener Toter auf der Bühne.

So viel vorweg: In diesem „Tatort“ geht es ungewöhnlich friedlich zu – sowohl zwischen Thiel und Boerne, die sich sonst gerne mal anzicken, als auch zwischen Boerne und Assistentin Alberich (Christine Urspruch). Und auch Wilhelmine Klemm zeigt ungewohnt viel Gefühl. Ob das mit ihrem sentimentalen Abschied zusammenhängt? Der Spannung des Krimis tut das jedenfalls keinen Abbruch.

Darum geht es im „Tatort: Die Erfindung des Rades“

In Münster dreht sich alles ums Fahrrad. Das wissen auch Boerne und Thiel, weshalb sie die Präsentation des neuen „First Bike“ aus dem Hause Hobrecht, einer alteingesessenen Münsteraner Fahrradmanufaktur, besuchen. Doch statt des Fahrrads taucht auf der Bühne plötzlich eine tiefgefrorene Leiche auf. Dabei handelt es sich um Albrecht Hobrecht, der sich mit seiner Familie überworfen hat. Sein Bruder, Seniorchef Kurt (Hannes Hellmann), erleidet vor Schreck einen Herzinfarkt.

Während Boerne und Alberich die Leiche auftauen, findet Thiel schnell heraus, dass in der Fahrradfamilie nicht alles rund lief. Vielmehr stand Neid an der Tagesordnung. Konstantin Hobrecht (Franz Hartwig) wollte eigentlich lieber mit einem eigenen E-Bike-Laden erfolgreich werden. Seine unfreundliche Schwester Klara (Karolina Lodyga) ist sauer, weil ihr Vater nicht ihr das Geschäft übergeben hat. Kurt junior (Simon Steinhorst) ist geistig zurückgeblieben und hat eine kriminelle Vergangenheit – ein Motiv hätten alle Geschwister und um den toten Onkel scheinen sie nicht wirklich zu trauern. Thiel vermutet den Mörder schnell innerhalb dieses zerklüfteten Konstrukts.

Boerne stößt währenddessen noch auf einen weiteren Kriminalfall. Auf einer Skizze, die belegen soll, dass das erste moderne Fahrrad 1882 in Münster erfunden wurde, findet er historische Blutspuren. Was haben die mit dem aktuellen Fall zu tun? Und was ist eigentlich mit Staatsanwältin Klemm los? Sie scheint ausgesprochen involviert in den Fall und stattet Kurt Hobrecht in der Klinik nicht nur einen Besuch ab…

Lohnt sich der „Tatort: Die Erfindung des Rades“?

Ja, absolut! Diese Krimikomödie ist ein würdiger Abschied für die Kult-Staatsanwältin. Das Rad wird zwar nicht neu erfunden, weil der Film ein klassischer Whodunit-Krimi mit solider Ermittlungsarbeit ist, doch er macht richtig Spaß. Sogar wer Münster sonst zu albern und drüber findet, wird hier Gefallen finden, denn auf zu viel Klamauk – vom Klara Hobrechts ungewöhnlichem menschlichen Haustier mal abgesehen – wird verzichtet. Stattdessen gibt es wortwitzige und schlagfertige Dialoge auf den Punkt.

Und es ist auch filmisch richtig schön, wenn die Zuschauer mit stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Aufnahmen ins Jahr 1882 zurückversetzt werden. Die Rückblenden an den wunderbaren historischen Drehorten erinnern vom Look her ganz an Ermittlungen à la Sherlock und Watson, was auch Boerne selbst bemerkt. Wer wer ist, dürfte noch zu diskutieren sein. „Ein historischer Film Noir quasi“, beschreibt Regisseur Till Franzen selbst. Nicht nur bildlich, sondern auch geschichtlich fügt sich das wie geschmiert in den eigentlichen Mordfall ein.

Obwohl es in der Fahrradhochburg Münster so naheliegend wäre, war das beliebte Zweirad noch nie so sehr im „Tatort“-Fokus wie jetzt. Sogar Boerne, der sonst auf heiße Reifen setzt, schwingt sich in diesem Fall mal aufs Rad. Ob ihn das so milde stimmt? Die üblichen scharfzüngigen Bemerkungen sowohl gegen Thiel als auch gegen seine Assistentin bleiben aus, stattdessen gibt es erfrischenderweise mal Lob. Weil beide Rad fahren, könne man zwischen Thiel und Boerne diesmal „von einer gewissen Parität und einem Treffen auf Augenhöhe sprechen“, beschreibt Prahl. Zu friedlich wird es aber natürlich nicht zwischen den beiden Lieblingsfeinden.

Und dann ist da ja noch der Abschied von Mechthild Großmann – ein weiterer großer Verluste im laufenden Sonntagskrimi-Jahr. Dankenswerterweise ist es diesmal keine Autobombe, kein plötzlicher Schusswechsel, sondern ein schöner, friedlicher Abgang für Staatsanwältin Klemm, die seit Beginn des Teams 2002 dabei war. Manchem mag es etwas konstruiert erscheinen, wenn Klemm ein letztes Mal mit ihren Kollegen anstößt, doch es fügt sich stimmig in die Geschichte ein. Die Staatsanwältin hat es verdient, dass man zum Abschied auch noch einmal etwas Persönliches über sie erfährt – und so kann man sie guten Gewissens in die Zukunft ziehen lassen. Oder, um es mit ihren Worten zu sagen: „Gute Arbeit, Thiel.“

(eyn/spot)

Bild: In „Tatort: Die Erfindung des Rades“ dreht sich alles um eine der größten Erfindungen der Menschheit. / Quelle: WDR/Molina Film/Frank Dicks